Gerechtigkeitskonflikte und Normentwicklung: Meine Doktorarbeit ist bei Springer VS erschienen

Auf der Suche nach einem Pageturner für den Sommerurlaub? Interessiert an einer Geschichte über Diplomatie, Streit & die Frage nach Gerechtigkeit für bedrohte Menschen, aber auch nach Gerechtigkeit zwischen Staaten? Die geringfügig überarbeitete Fassung meiner Doktorarbeit „Gerechtigkeitskonflikte und Normentwicklung. Die internationale Umstrittenheit der Responsibility to Protect“ ist nun bei Springer VS erschienen.

Gegenstand der Arbeit

Die Forschung in den Internationalen Beziehungen hat sich in den letzten Jahren vermehrt mit der Umstrittenheit internationaler Normen beschäftigt. Dabei wurde jedoch die Rolle von Gerechtigkeitskonflikten kaum berücksichtigt. Dieses Ausblenden der Rolle von Gerechtigkeit verwundert. Schließlich ist die Frage nach Gerechtigkeit ein zentraler Aspekt vieler politischer Debatten. Die Frage nach einer universellen internationalen Ethik und der damit verknüpften Handlungsimplikationen sind ein zentraler Diskussionsgegenstand der politische Theorie und der Moralphilosophie. Im Hinblick auf die globale Ebene nimmt in dieser Diskussion das Verhältnis von Souveränität und Menschenrechten einen zentralen Platz ein. Gerade auch in Debatten in den Vereinten Nationen.

Mit meiner Doktorarbeit habe ich angestrebt, diese Lücke in der Untersuchung der Anfechtung von Normen – auch als Kontestation bezeichnet – durch die von ihnen adressierten Akteure zu schließen. Konkret bin ich der Forschungsfrage nachgegangen, wie Gerechtigkeitskonflikte zwischen Staaten die Entwicklung und Umstrittenheit internationaler Normen beeinflussen. Dies habe ich anhand der Entwicklung des Normbündels der sogenannten internationalen Schutzverantwortung (Responsibility to Protect, R2P), welches aus der Debatte über sogenannte humanitäre Interventionen hervorgegangen ist, empirisch untersucht. Der Schwerpunkt lag dabei auf der Analyse von Debatten der UN-Generalversammlung, dem (Nicht-)Handeln des UN-Sicherheitsrates und den Bemühungen des UN-Generalsekretärs eine Normgenese herbeizuführen und später die beschlossene Norm auch zu implementieren.

Die umstrittene Responsibility to Protect

Die im Jahr 2005 von der UN Generalversammlung verabschiedete Responsibility to Protect hält Staaten dazu an, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und ethnische Säuberungen zu verhindern und notfalls durch den UN Sicherheitsrat Zwangsmaßnahmen zu ergreifen, wenn ein Staat darin versagt seine Bevölkerung zu schützen.

In meiner Arbeit zeige ich detailliert empirisch auf, wie konträre Vorstellungen über eine gerechte Weltordnung im Spannungsfeld zwischen individuellen Menschenrechten, staatlichen Souveränitätsansprüchen und Forderungen nach prozeduraler Gerechtigkeit die Entwicklung des Normbündels der R2P im Rahmen der Vereinten Nationen geprägt haben und letztendlich konstitutiv auf die Responsibility to Protect gewirkt haben.

Gerechtigkeitskonflikte als Triebfedern von Normkontestation

Gerechtigkeitskonflikte, so das Argument meiner Arbeit, sind als Triebfedern der Normkontestation zu verstehen. Ich knüpfe hierbei nicht nur an Debatten in den Internationalen Beziehungen und der Friedens- und Konfliktforschung an, sondern insbesondere an die Sozialpsychologie. Die sozialpsychologische Forschung zur Rolle von Gerechtigkeit in sozialen Beziehungen zeigt auf, dass Ungerechtigkeitswahrnehmungen die Einstellungen von Individuen und Gruppen beeinflussen und zu nicht-kooperativem, ja gar konfrontativem Verhalten führen können.

Meiner Doktorarbeit liegt daher die theoretische Annahme zugrunde, dass aus widersprüchlichen, als unerfüllt oder bedroht angesehenen Gerechtigkeitsansprüchen resultierende Gerechtigkeitskonflikte zur Verhärtung von Verhandlungspositionen und zu kategorischem, nicht kompromissbereitem politischem Handeln von Staaten führen und so die Entwicklung internationaler Normen behindern.

Methodische Herangehensweise

Um dies empirisch zu erforschen, habe ich eine theoriegenerierende Prozessanalyse mit einem Vergleich verschiedener Phasen der Entwicklung des Normbündels der Responsibility to Protect durchgeführt. Die Prozessanalyse basierte auf einer qualitativen Inhaltsanalyse von insgesamt 838 Staatenstatements in den Vereinten Nationen zwischen 1991 und 2015, in denen Staaten ihre Haltung zum Konzept der humanitären Intervention bzw. zur Responsibility to Protect dargelegt haben.

Weiterhin habe ich Dokumente von Staaten, internationalen Organisationen und nicht-staatlichen Organisationen ausgewertet und insgesamt 88 leitfadengestützte Interviews mit Expertinnen und Experten geführt, darunter Diplomatinnen und Diplomaten aus insgesamt 43 Staaten sowie diverse Vertreterinnen und Vertreter der Vereinten Nationen, der Zivilgesellschaft und verschiedener Think Tanks.

Erweiterung der Forschung zur Entwicklung internationaler Normen

Der Beitrag meiner Arbeit zur Theorieentwicklung liegt meiner Auffassung nach in einer Erweiterung der Forschung zur Entwicklung internationaler Normen: Ich habe anhand eines Einzelfalles empirisch plausibilisiert, dass es einen analytischen Mehrwert für das Verständnis der dynamischen Entwicklung internationaler Normen in Verhandlungen im Rahmen der Vereinten Nationen bietet, die Rolle von staatlichen Gerechtigkeitsansprüchen und daraus resultierenden Gerechtigkeitskonflikten zu berücksichtigen.

Gerechtigkeitsansprüche waren in der Entwicklung der Responsibility to Protect allgegenwärtig und wurden von Befürwortern wie Gegnern zur Rechtfertigung ihrer Haltungen herangezogen. Da sich die Debatte um die Frage nach den Grenzen souveräner Autonomie dreht, scheint Gerechtigkeit ein zentraler Maßstab zur Bewertung des Normenbündels der Schutzverantwortung zu sein, insbesondere für ehemals kolonialisierte Staaten. Die daraus resultierenden Konflikte haben die Entwicklung der Norm immer wieder maßgeblich beeinflusst.

Jetzt im Handel verfügbar

Das Buch kann im Online-Shop von Springer VS als ebook und in der Printfassung erworben werden:

Gregor Peter Hofmann: „Gerechtigkeitskonflikte und Normentwicklung. Die internationale Umstrittenheit der Responsibility to Protect“ (Wiesbaden: Springer VS, 2019)

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